Anfang der 2000er begannen erste IT-Abteilungen, auf die agile Arbeitsweise umzustellen. Schnell zeigte sich: Sie bringt bessere Arbeitsergebnisse hervor. Heute ist Agile in der Softwareentwicklung der Standard (95% von Organisationen nutzen es – State of Agile, 2020). Es ist daher kein Wunder, dass sich immer mehr Unternehmen fragen: Kann Agile für Nicht-Software-Projekte verwendet werden? Ich zeige dir, wann der Einsatz von Agile außerhalb der Softwareentwicklung Sinn macht und wie das in der Praxis aussehen kann.
Warum setzen Unternehmen auf den Einsatz von Agile außerhalb der Softwareentwicklung?
Bevor wir uns der Frage widmen, wie Agile außerhalb der Software-Entwicklung funktioniert, lass uns zunächst einen Blick darauf werfen, warum sich Unternehmen auch in anderen Abteilungen und Branchen für die agile Arbeitsweise entscheiden. Um direkt auf den Punkt zu kommen: Agile lässt Unternehmen in kürzerer Zeit ein besseres Endprodukt auf die Beine stellen. Dafür implementierten agile Frameworks unter anderem
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- bessere Kommunikation in und über Teams hinweg,
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- regelmäßige Retrospektiven zur kontinuierlichen Verbesserung der geleisteten Arbeit,
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- eine offene Feedback-Kultur und
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- eine transparente und effizientere Arbeitsweise.
Du profitierst von diesen Benefits vor allem, wenn die Arbeitsumgebung komplex (siehe Cynefin Modell) ist.
Cynefine Modell
Quelle: Cynefin: agile Methoden – oder auch nicht | MT AG (mt-itsolutions.com)
Agile schafft dann eine Struktur für Teams, die sie Arbeitsprozesse einfacher gliedern, bewerten und anpassen lässt. Es gibt nicht mehr nur den einen Masterplan, sondern viele kleine Meilensteine, die Teams meistern. Und: Anstelle eines Produktmanagers oder einer einzelnen Führungskraft liegt die Verantwortung aufgeteilt auf vielen Schultern im ganzen Team.
Einsatz von Agile außerhalb der Softwareentwicklung: Wie geht das?
Die Vorteile der agilen Arbeitsweise für Nicht-IT-Projekte liegen damit auf der Hand. Wie aber kann Nicht-IT Agile in der Praxis funktionieren? Schließlich ist Agile entwickelt worden, um Prozesse der Softwareentwicklung zu verbessern. Kann Agile daher für Nicht-Software-Projekte überhaupt verwendet werden?
Bis auf wenige Ausnahmen kann ich das mit einem klaren „ja“ beantworten. Du kannst jedoch nicht einfach ein Framework wie Scrum auswählen und das als Schablone auf dein Projekt übertragen. Das funktioniert allein nicht, weil die meisten Frameworks auf die Prozesse in der IT ausgelegt sind.
Um Agile also in anderen Arbeitsbereichen umzusetzen, stehst du zu Beginn vor diesen beiden Möglichkeiten:
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- Du übernimmst nur das Rahmenwerk eines agilen Frameworks und passt den Rest den Ansprüchen der Branche, des Projekts und der Teams an.
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- Du entscheidest dich nur für bestimmte Bausteine eines agilen Frameworks und setzt diese um.
In der Regel ist es für Unternehmen schwierig, den ersten Ansatz erfolgreich umzusetzen. Ohne umfassende, professionelle Unterstützung sind Organisationen nicht in der Lage, das Rahmenwerk eines Frameworks auf ihre Prozesse zu übertragen.
Für die Praxis empfehle ich dir daher konkret: Fang mit deinem Unternehmen entweder mit der agilen Kanban-Methode oder mit agilen Retrospektiven an. Beide Ansätze sind ein ausreichend großer Schritt, um Teams und Abteilungen die Benefits von Agile vor Augen zu führen – ohne sie dabei zu überfordern.
Dabei kann es hilfreich sein, gar nicht offiziell von Agile zu sprechen. Das bewahrt Teams vor falschen Erwartungen und lässt sie ohne Vorbehalte und Ängste in die neuen Prozesse gehen, falls einzelne Mitarbeitende schon schlechte Erfahrungen damit gemacht haben.
Einsatz von Agile außerhalb der Softwareentwicklung: Wann geht das nicht?
Es gibt einige wenige Ausnahmen, in denen Agile außerhalb der Software-Entwicklung wenig oder keinen Sinn macht:
Projekte mit strengen Anforderungen
Unternehmen, die sich stets an strenge Anforderungen halten müssen, wie beispielsweise die Einhaltung von behördlichen Vorschriften oder Zertifizierungen, können ihre Prozesse nicht ausreichend anpassen, um von den Benefits von Agile zu profitieren. Die iterative und anpassungsfähige Natur agiler Ansätze lässt sich dann nicht auf die Arbeitsweise übertragen.
Kunden mit Änderungskontrolle
Arbeiten Organisationen mit Kunden zusammen, die jeden Arbeitsschritt durch Dokumentation und Änderungskontrolle überprüfen wollen, ist die Barriere zur Einführung von Agile zu groß. Denn: Es liegt in der Natur von Agile, die Verantwortung auf vielen Schultern zu verteilen. Teams dürfen und sollen selbstbestimmt Entscheidungen treffen. Mit einer ständigen Kontrolle ist das kaum möglich.
Auf welche Branchen trifft das zu?
Projekte mit strengen Anforderungen und Kunden mit Änderungskontrolle finden sich vor allem in stark regulierten Branchen wie der Luftfahrt, dem Gesundheitswesen und dem Militär. Dort sind Governance und Kontrolle tragende Pfeiler.
Zwar kannst du in diesen Branchen einige agile Konzepte, wie beispielsweise die kontinuierliche Verbesserung – also zum Beispiel Retrospektiven -, anwenden. Die tatsächlichen Benefits von Agile werden jedoch durch diese Rahmenbedingungen abgeschwächt.
Einsatz von Agile außerhalb der Softwareentwicklung: 3 Praxisbeispiele
Damit wir Nicht-IT Agile nicht nur theoretisch angehen, lass uns einen Blick auf 3 Praxisbeispiele werfen. Sie zeigen dir, wie Agile in Nicht-Software-Projekten funktionieren kann und was Agile dabei verändert:
Agile außerhalb der Software-Entwicklung: UX-Design
Agile Techniken in Design-Teams helfen, Produkte zu entwickeln, die eng mit den Bedürfnissen ihrer User verbunden sind – ohne dass es Monate bis zur Markteinführung dauert. Agile nimmt dabei durch seinen iterativen Charakter den Druck zur willkürlichen Perfektion und hilft UX-Designern, flexibler und anpassungsfähiger zu arbeiten.
Um das zu erreichen, führt Agile im UX-Design zum Beispiel den „Design Sprint“ ein. Dabei arbeiten alle wichtigen Interessengruppen 4 oder 5 Tage lang zusammen, um aus einer ersten Idee ein testfähiges Produkt zu entwickeln. Design Sprints führen oftmals zu erfolgreichen Entwürfen, die genau so in Produktion gehen.
Die US-amerikanische Online-Lernplattform Quizlet hat so beispielsweise Diagramm-Tools in sein Portfolio aufgenommen. Selbst wenn ein Design Sprint kein zufriedenstellendes Ergebnis hervorbringt, zeigt er schnell, welche Ideen und Ansätze nicht zum Ziel führen. Das ist eine unverzichtbare Erkenntnis, um den richtigen Weg einzuschlagen – ohne dafür zu viele Ressourcen zu vergeuden.
Pro-Tipp: Innerhalb des Design-Sprints ein paar mal den “Kunden” bzw. die Zielgruppe einladen, um direkt erstes Feedback zu bekommen.
Agile außerhalb der Software-Entwicklung: Marketing
Agile im Marketing setzt auf Daten und Analysen, um kontinuierlich Potenziale und Problemlösungen in Echtzeit zu finden, Tests durchzuführen und Ergebnisse unmittelbar zu bewerten und schnell zu iterieren. Für die Praxis heißt das: Eine Marketing-Abteilung führt gleichzeitig mehrere Kampagnen durch und entwickelt dafür jede Woche neue Ideen. Im Gegensatz zum Top-Down-Marketing wird agiles Marketing also nicht von hochgesteckten Akquisitionszielen und einem starren Kampagnenplan angetrieben, sondern vom Markt bestimmt.
Sleeknote, ein Anbieter von E-Commerce-Software, konnte durch agiles Marketing seinen Output und seinen organischen Traffic drastisch steigern. Dafür arbeitete es mit wöchentlichen Sprints, Produkt-Backlogs und Kanban-Boards. McKinsey geht davon aus, dass Unternehmen mit agilem Marketing ihren Umsatz zwischen 20 und 40 Prozent steigern können.
Agile außerhalb der Software-Entwicklung: Recruiting
Agile im Recruiting hilft Organisationen, hochqualifizierte Talente und passiv Arbeitssuchende zu gewinnen und die Mitarbeiter-Fluktuation im Unternehmen zu senken. Dazu betrachtet Agile Recruiting als eine Produktabteilung, die einen direkten Einfluss auf den Umsatz hat. Dafür muss sie schnell und kontinuierlich auf dem Markt reagieren und sich dabei ständig an die Bedürfnisse der Arbeitssuchenden anpassen.
IBM hat beispielsweise ein eigenes Rahmenwerk mit dem Namen „Agile in Talent Acquisition“ (AgileTA) eingeführt, um Scrum in der Personalabteilung umzusetzen. Dabei sorgen vor allem Retrospektiven dafür, die geleistete Arbeit auszuwerten und ungenutzte Potenziale und Fehler aufzudecken.
Fazit zum Einsatz von Agile außerhalb der Softwareentwicklung: Mit kleinen Schritten erste Erfolge einfahren
Agile bietet Unternehmen die Chance, schneller bessere Produkte zu erzeugen. Dabei ist der Einsatz von Agile außerhalb der Softwareentwicklung in vielen Abteilungen und Branchen möglich. Wichtig ist es dabei, nicht alles auf einmal zu wollen. Ohne professionelle Unterstützung sollten Organisation anfangs mit grundlegenden agilen Elementen wie Retrospektiven beginnen, um erste Auswirkungen von Agile in der Praxis spüren zu können. Danach können sie Schritt für Schritt weitere Elemente eines Frameworks in ihre Prozesse integrieren. Welche 7 Fehler du bei einer agilen Transformation unbedingt vermeiden solltest, zeigt dir unser Workshop Project Scagile. Schau gerne mal rein, die Workshops sind kostenlos.
Zusätzlich kann ich dir empfehlen, das Tool Echometer anzuschauen (Mehr dazu hier: Die beste kostenlose Software für agile Retrospektiven). Es eignet sich besonders gut für Teams, die eventuell gerade erst mit agilen Methoden starten.