Ein erfahrenes agiles Team hat in seiner Laufbahn wahrscheinlich ein paar hundert agile Retrospektiven durchgeführt. Das ist genug, um als Teammitglied ein intuitives Verständnis dafür zu entwickeln, was funktioniert und was nicht. Was kann man aber lernen, wenn man auf gleich 30.000 Retrospektiven als Erfahrungsschatz zurückgreift?
In diesem Artikel wollen wir dieser Fragestellung nachgehen und ein paar überraschende, datengetriebene Insights mit euch teilen.
Warum wir unsere Analysen und Erkenntnisse um agile Retrospektiven teilen
Unser Ziel bei Echometer ist es, Retrospektiven und Teamentwicklung datengetrieben besser zu machen. Das tun wir natürlich in erster Linie für unsere Nutzer:innen, aber im weiteren Sinne auch über das Anregen eines Dialogs über Retrospektiven in der agilen Community.
Durch das Teilen unserer Erkenntnisse aus über 30.000 Retrospektiven möchten wir konkret eine Diskussionsgrundlage dafür schaffen, was gute Retrospektiven ausmacht und wie man seine eigenen Retrospektiven verbessern kann.
In diesem Beitrag teilen wir die ersten Insights aus unserer Analyse. Vielleicht ist ja auch für dich die eine oder andere Überraschung dabei.
Los geht’s:
Der durchschnittliche ROTI-Score* über alle analysierten Retrospektiven beträgt 8.33/10.
💡 Was ist der ROTI-Score?
Mit dem ROTI (“Return on Time Invested“) wird beim Checkout einer Retrospektive abgefragt, wie gut die Zeit für die Retrospektive investiert war. Jeder Teilnehmende gibt hierauf eine Antwort auf einer Skala von 0 (schlecht investiert) bis 10 (super investiert).
Der ROTI-Score ist jeweils der Durchschnitt dieser Antworten.
Insight 1: Mittwoch ist der beliebteste Wochentag für Retrospektiven 🗓️
Was ist der häufigste Wochentag für eine Retrospektive?
Der Mittwoch gewinnt als beliebtester Tag für Retrospektiven mit 24,4%, knapp vor Dienstag mit 24%.
Montags finden nur 14,1% der Retrospektiven statt. Auch der Freitag hat mit 16,5% eher weniger Retros – obwohl man meinen könnte, dass ein Freitag sich als Wochenabschluss doch auch für eine Retrospektive anbietet?
Was ist der beste Wochentag für eine Retrospektive?
Interessanterweise ist der ROTI-Score der Retrospektiven an Freitagen wiederum mit 8.52/10 von allen Wochentagen am höchsten!
Der Mittwoch wiederum schließt mit 8.25 als ROTI-Score leicht unterdurchschnittlich ab.
Montags ist vielleicht tatsächlich nicht der beste Tag für eine Retrospektive – zumindest deutet der ROTI-Score mit 8.14 darauf hin.
Insight 2: Die durchschnittliche Retro-Dauer ist 1 Stunde und 11 Minuten ⏰
Wie lange dauert eine durchschnittliche Retrospektive?
Während die durchschnittliche Retrospektive 1 Stunde und 11 Minuten dauert, fallen lediglich 35% in die Kategorie zwischen 61 und 90 Minuten.
Nur ca. 7% der Retrospektiven im Echometer dauerten länger als 2 Stunden. Kurze Retrospektiven zwischen 10 und 45 Minuten machen immerhin 21% aus.*
* Hinweis zur Analyse: Vielleicht ist dir aufgefallen, dass wir <10 Minuten und >180 Minuten in dieser Analyse nicht berücksichtigt haben. Warum? Bei den Ausreißern nach unten handelt es sich in vielen Fällen um “Demo-Retrospektiven”, um das Tool vorzustellen. Bei längeren Retrospektiven (>180 Minuten), sind häufig so lange Zeiträume mit Inaktivität dabei, dass anzunehmen ist, dass das Tool etwas anders als erwartet eingesetzt wurde.
Wie lange dauern die besten Retrospektiven?
Die besten Retrospektiven dauern 30-45 Minuten. Zumindest wenn man den ROTI-Score mit 8.5 / 10 der Teilnehmer:innen als Basis nimmt. Der Abstand zu der Kategorie “46-60 Minuten” mit 8.47 / 10 ist allerdings sehr klein.
Deutlich erkennbar ist hingegen, dass die Zufriedenheit der Teammitglieder bei längeren Retrospektiven abnimmt. Aber selbst mit 8.17 / 10 bei “121-180 Minuten” ist das Ergebnis gut genug, um anzunehmen, dass die Retrospektiven sich im Schnitt gelohnt haben. Es muss nur entsprechend des größeren Zeitinvests auch bessere Ergebnisse geben, um den gleichen ROTI zu rechtfertigen.
Falls es interessiert: Wir haben auch ein paar Tipps für das Timboxing in Retrospektiven.
Insight 3: Knapp 90% der Retrospektiven haben 10 oder weniger Teilnehmende 🙋
Was ist die durchschnittliche Teilnehmerzahl bei Retrospektiven?
Knapp 57% der Retrospektiven haben 6 bis 10 Teilnehmende. Immerhin 31% der Retrospektiven haben nur 3 bis 5 Teilnehmende.
Größere Teilnehmerkreise in Retrospektiven mit mehr als 10 Teilnehmer:innen machen in der Analyse nur knapp über 10% aus.
Hinweis zur Analyse: Es gilt zu beachten, dass hier nur solche Teilnehmer:innen erfasst wurden, die aktiv in Echometer an der Retrospektive teilgenommen haben. Es sein also kann, dass über Screensharing weitere Teilnehmer*innen an der Retrospektive teilgenommen haben. Zu weiteren Teilnehmer:innen über Screensharing können wir leider keine Daten liefern.
Lohnt sich eine Retrospektive bei 3-5 Personen?
In unserer Anfangszeit bei Echometer wurden wir häufig gefragt, ob wir auch im dreiköpfigen Gründerteam Retrospektiven machen. Natürlich haben wir das. Darauf kam häufig die Frage, ob Retrospektiven sich in so kleinen Teams denn überhaupt lohnen würden? Unsere Antwort: Auf jeden Fall!
Umso schöner war es zu sehen, dass auch die Analyse der Echometer-Retrospektiven dafür spricht, dass sich Retrospektiven gerade in kleinen Teams besonders lohnen.
Was ist die beste Teamgröße für Retrospektiven?
Mit einem ROTI-Score von 8.64/10 haben Retrospektiven mit 3-5 Teilnehmende die beste Bewertung.
Und der Trend ist klar erkennbar: Je mehr Teilnehmer:innen einen Retrospektive hat, desto schwächer ist ihre ROTI-Bewertung. Gerade ab 15 Teilnehmer:innen wird auch die ROTI-Score Marke von 8/10 deutlich unterschritten.
Lohnen sich Retrospektiven in großen Teams überhaupt? Oder ergibt es mehr Sinn, erstmal an der Teamgröße zu schrauben… Vielleicht hat der Scrum-Guide mit seiner Empfehlung, ca. 7 Teammitglieder anzustreben, ja gar nicht so unrecht.
Insight 4: Fast 50% machen Retrospektiven zweiwöchentlich oder kürzer 🔄
Wie häufig machen Teams Retrospektiven?
47,1% der Teams haben eine Frequenz von 14 Tagen oder weniger für ihre Retrospektiven. Das passt zu der Annahme, dass die meisten agilen Teams in einem zweiwöchigen Rhythmus arbeiten. 15-28 Tage (z.B. “Alle 3 Wochen”, oder monatlich) ist mit 33,7% die zweitgrößte Gruppe.
Immerhin 17,6% der Teams haben alle 29-56 Tage (also z.B. alle 5, 6, 7, oder 8 Wochen) eine Retrospektive.
Wie häufig sollten Teams Retrospektiven machen?
Viele Teams, die sich neu mit Agilität beschäftigen, schlagen erstmal vor, dass es ja reichen würde, einmal im Monat oder Quartal eine Retrospektive durchzuführen.
Das tut vielen Agile Coaches natürlich erstmal in den Ohren weh, schließlich bedarf es für ein gelungenes iteratives Arbeiten deutlich mehr Reflexion als viele “Newbies” zunächst glauben. Aber ist es schlimm, wenn man erstmal mit monatlichen oder zweimonatlichen Retrospektiven startet?
Laut unserer Analyse sind Teams auch bei längeren Iterationszyklen von 29 – 56 Tagen sehr zufrieden mit ihren Retrospektiven. Mit einem ROTI-Score von 8.31/10 schneiden sie sogar leicht besser ab, als Teams, die in einer Frequenz von 15-28 Tagen Retrospektiven durchführen (z.B. “Alle 3 Wochen”, oder monatlich)
An der Spitze ist jedoch deutlich die Gruppe, die Retrospektiven in einem Rhythmus von 14 Tagen oder weniger macht. Mit einem ROTI-Score von 8.61 sind sie die mit Abstand erfolgreichste Gruppe. Es bestätigt sich mal wieder: Übung macht den Meister.
Hinweis: Wir haben in diesem Teil der Analyse nur Teams einbezogen, die mindestens 5 Retrospektiven mit Echometer durchgeführt haben.a
Key Learnings: So sieht die perfekte Retrospektive aus 🤩
Die perfekte Retrospektive…
Findet an einem Freitag statt
Dauert 30-45 Minuten
Hat 3-5 Teilnehmende
Hat eine Frequenz von 7-14 Tagen
Retrospektiven, die diesem Muster entsprechen, haben einen durchschnittlichen ROTI-Score von 9.07/10.
Dieses Muster-Setup landet damit also deutlich über dem zu Anfang erwähnten Durchschnitt von 8.33.
Bonus: So verbesserst du deine Retrospektiven 🔥
An Variablen wie deiner Teamgröße und der Frequenz eurer Retrospektiven kannst du vielleicht nichts kurzfristig ändern. Aber eine Sache ist uns noch aufgefallen, die wirklich jedes Team beachten kann, um seine Retrospektiven zu verbessern:
Mit großer Sicherheit können wir sagen, dass das Besprechen und Abschließen vergangener Maßnahmen zu einem besseren ROTI-Score für eine Retrospektive führen.
Ergibt auch Sinn: Dadurch, dass man nicht nur fleißig Maßnahmen verteilt, sondern diese auch umsetzt und die Ergebnisse bespricht, steigert man das Gefühl der Selbstwirksamkeit der Teams.
Um diesen Effekt auch in Echometer zu nutzen, haben wir in extra einen dedizierten Schritt in der Retro-Agenda: “Maßnahmen Review”. So wird keine Maßnahme aus einer Retrospektive je wieder unter den Tisch gekehrt. Vielleicht baust auch du diesen Schritt in deine nächsten Retrospektiven ein.
Übrigens: Auch OpenAI’s ChatGPT hat einige Tipps für Agile Coaches. Wirf gerne mal einen Blick in unser Interview mit ChatGPT zum Thema Agile Coaching.
Methode: Was es zu beachten gilt ☝️
Wie bei jeder Datenanalyse sind die Ergebnisse natürlich nur begrenzt übertragbar auf jeden Kontext.
Als wir die ersten Ergebnisse auf LinkedIn geteilt haben, hatte Giancarlo zum Beispiel einen guten Hinweis. Eine Antwort von uns auf Giancarlos Kommentar findest du auf LinkedIn. So viel vorweg: Sie hat mit den Outcomes von Retrospektiven zu tun.
Insbesondere ist der klassische Stichproben-Bias zu beachten. Bei der Stichprobe hält es sich natürlich nur um die Nutzer*innen unseres Echometer Tools. Dies könnte zum Beispiel dazu führen, dass die Qualität der Retrospektive im Durchschnitt durch die Moderationsunterstützung etc. ansteigt. Aufgrund der Menge der Retros und der Breite der globalen Stichprobe können wir jedoch davon ausgehen, dass die hier aufgezeigten Tendenzen für viele typische Kontexte valide sind.
Fazit: Die größte Analyse von Retrospektiven
Mit einer Grundgesamtheit von über 30.000 Retrospektiven, ist dies soweit uns bekannt die größte Analyse von Retrospektiven, die bisher veröffentlicht wurde.
Wie beschrieben sind die Daten natürlich nicht repräsentativ für die gesamte agile Community. Unsere Datenerhebung beschränkt sich auf die anonymisierte Stichprobe unserer Nutzer:innen bei Echometer und deren Retrospektiven im Zeitraum von 2020 bis 2022.
Hast Du Fragen zur Analyse oder weitere Ideen, welche Variablen wir untersuchen sollten? Dann diskutiere mit uns auf LinkedIn oder Twitter.
Wir freuen uns auf deine Nachrichten und Kommentare!