Wahrscheinlich jeder Mensch behauptet von sich, die Fähigkeit zur Selbstreflexion zu besitzen. Dass das nicht unbedingt der Fall ist, zeigt ein persönliches Beispiel: Letzten Donnerstag traf ich nach fünf Jahren zufällig einen Schulkameraden, Johannes, als wir mit Echometer auf einer Karrieremesse unterwegs waren (siehe unser Linked-In Post). Nach einem kurzen Gespräch kam es dann aus ihm heraus:
“Letzte Woche habe ich noch mit Lukas über dich gesprochen. Ich habe mich über deinen Sprechstil lustig gemacht. Du hast in der Schule immer so abgehackt geredet… so Stakkato-mäßig.” Danke, Johannes. Schön, dich zu sehen. Ich fand es lustig. Und er schickte auch gleich nach: “Jetzt redest du aber nicht mehr so.”
Das Interessante an dem Ganzen: Es war mir weder in der Schule bewusst, dass ich so wahrgenommen wurde, noch ist mir über die Jahre eine Veränderung aufgefallen. Und da wären wir mitten im Thema.
Wie gut kann ich mich eigentlich selber einschätzen, bezogen auf Dinge wie Persönlichkeit, Leistung und Intelligenz? Im Arbeitskontext ist diese Frage sehr relevant – und sicherlich eine besonder wichtige Anforderung an Führungskräfte. Studien zeigen:
Je besser eine Führungskraft sich selber einschätzen kann, desto besser ist die Leistung, das soziale Verhalten und die Loyalität eines Mitarbeiters.
Whittington, Coker, Goodwin, Ickes, & Murray, 2009; Fleenor, Smither, Atwater, Braddy & Sturm, 2010
Eine Sache vorweg: Was sind Korrelationen?
Um die Frage nach der Genauigkeit der Selbsteinschätzung z.B. zu Persönlichkeit zu beantworten – und somit die Frage nach der wichtigsten Anforderung an Führungskräfte -, hilft es zu verstehen, was Korrelationen sind. Eine Korrelation ist ein statistisches Maß dafür, wie stark zwei Variablen zusammenhängen. Sie kann von -1 bis 1 reichen, wobei eine negative Zahl einen negativen Zusammenhang impliziert. Je näher die Korrelation an 0 ist, desto geringer ist der Zusammenhang.
Diese Beispiele sollten es anschaulicher machen: Eineiige Zwillinge haben die gleichen genetischen Voraussetzungen. Wenn somit der eine Zwilling sehr intelligent ist, ist es der andere wahrscheinlich auch (Korrelation: 0.81; Loehlin, 1992).
Anderes Beispiel: Wer intelligent ist, ist auch eher gebildet (Korrelation: 0.70). Oder: Je ärmer jemand ist, desto eher begeht er oder sie kriminelle Straftaten (Korrelation: 0.25; Hsieh & Pugh, 1993). Bei letzterem Beispiel fällt der Zusammenhang schon deutlich niedriger aus. Damit zusammenhängend: Dass eine Korrelation nicht immer gleichbedeutend ist mit einem kausalen Zusammenhang (!), zeigen die Beispiele in diesem Artikel.
Aber wie hoch ist nun also der Zusammenhang zwischen meiner Einschätzung meiner Persönlichkeit und meiner tatsächlichen Persönlichkeit?
Anforderung an Führungskräfte: Zusammenhang zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung
Ziemlich gering. Die folgende Grafik zeigt die Zusammenhänge.
Was sagt uns das? Dass unsere Selbsteinschätzung – unser Selbstbild – relativ ungenau ist. Nicht nur gute Führungskräfte, auch Scrum Master oder Coaches sollten sich über dieses Phänomens bewusst sein und sich stets in Selbstreflexion üben. Aber nicht nur das – auch das Einholen regelmäßigen Feedbacks ist hilfreich. Was hierbei helfen kann und weshalb wir uns überhaupt so schlecht selber einschätzen können, behandelt Jean in diesem Blog-Post.
Wenn ihr den Reflexionsprozess und somit eine sehr wichtige Anforderung an Führungskräfte beschleunigen möchtet, lohnt sich ein Blick auf unser 360º-Feedback Tool. 360-Grad-Feedback kann bei Beachtung einiger zentraler Regeln (siehe dazu ein weiterer Blog Artikel von mir) – gut dafür geeignet sein, unsere Selbstwahrnehmung durch Reflexion anzuregen. Und am Ende ggf. sogar Verhaltensänderungen in Individuen provozieren.
Anforderung an Führungskräfte – Quellen
Atwater, L., Waldman, D., Ostroff, C., Robie, C., & Johnson, K. M. (2005). Self–other agreement: Comparing its relationship with performance in the US and Europe. International Journal of Selection and Assessment, 13(1), 25-40.
Asendorpf, J. B. (2015). Person-centered approaches to personality.
Fleenor, J. W., Smither, J. W., Atwater, L. E., Braddy, P. W., & Sturm, R. E. (2010). Self–other rating agreement in leadership: A review. The Leadership Quarterly, 21(6), 1005-1034.
Harris, M. M., & Schaubroeck, J. (1988). A meta‐analysis of self‐supervisor, self‐peer, and peer‐supervisor ratings. personnel psychology, 41(1), 43-62.
Hsieh, C. C., & Pugh, M. D. (1993). Poverty, income inequality, and violent crime: a meta-analysis of recent aggregate data studies. Criminal justice review, 18(2), 182-202.
Loehlin, J. C. (1992). Genes and environment in personality development. Newbury Park, CA: Sage
Whittington, J. L., Coker, R. H., Goodwin, V. L., Ickes, W., & Murray, B. (2009). Transactional leadership revisited: self–other agreement and its consequences. Journal of Applied Social Psychology, 39(8), 1860-1886.
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